Die Bürger-Aktiengesellschaft
- Markus Buckenmayer
- 26. Mai
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 3. Juni
mit gemeinschaftlicher Finanzierung zur sozial-ökologischen Transformation
von Markus Buckenmayer
Die Aktiengesellschaft (AG) hat in der sozial-ökologischen Wirtschaft meist keinen guten Ruf. Sie wird mit Spekulation, Gewinnmaximierung und hohen Vorstandsgehältern in Verbindung gebracht. Gegen dieses Imageproblem stellt sich die Idee der „Bürger-AG“. Mit gemeinschaftlicher Finanzierung soll das Geld der Vielen möglich machen, was Einzelne nicht finanzieren können. Damit kehrt die AG ein Stück weit zu Ihrer Gründungsidee zurück. Doch anstatt Kolonialhandel, Bergbau und Eisenbahn, geht es bei den modernen Bürger-Aktiengesellschaften um regionale Landwirtschaft, erneuerbare Energien und bezahlbaren Wohnraum.
Was macht eine Bürger-AG aus?
„Bürger-AGs“ sind Aktiengesellschaften, die Investitionen in verschiedenen Bereichen der sozial-ökologischen Transformation tätigen. Das Geld dafür erhalten sie, indem sie Aktien emittieren, welche die jeweiligen Aktionär:innen zu Anteilseigner:innen am Unternehmen machen. Der Begriff „Bürger-AG“ wird in Abgrenzung zum klassischen Aktieninvestment verwendet und soll hervorheben, dass das Investment in eine Bürger-AG mehr ist als reine Geldanlage, sondern ein zivilgesellschaftliches Engagement darstellt.
Die Begriffe Bürger-AG oder Bürger-Aktie sind weder geschützt noch bislang klar definiert. Ihre Bedeutung ist gerade erst im Entstehen und wird maßgeblich durch wenige Organisationen geprägt, die den Begriff verwenden. Dies sind vor allem die Regionalwert-AGs – ein Netzwerk von Aktiengesellschaften, die durch gezielte Investitionen in regionale Landwirtschaftsbetriebe die sozial-ökologische Transformation der Landwirtschaft unterstützen –, die „Bürger-AG für regionales und nachhaltiges Wirtschaften“ aus Frankfurt (Main) mit einem ähnlichen Konzept, die solarcomplex AG in Singen*, die in erneuerbare Energien investiert sowie die nestbau AG aus Tübingen, die sich der Schaffung von bezahlbarem und ökologischem Mietwohnraum verpflichtet hat.
Es lassen sich dennoch, in Abgrenzung zu klassischen Aktiengesellschaften, ein paar entscheidende Merkmale ausmachen, die Bürger-AGs charakterisieren:
Das Wichtigste ist die klare Positionierung zu und der Einsatz für ein sozial-ökologisches Wirtschaften im Allgemeinen, also eine Transformation nicht nur des jeweiligen Sektors, sondern des Wirtschaftssystems im Ganzen sowie des allgemeinen Verständnisses von dem, was „gutes Wirtschaften“ eigentlich bedeutet. Bei den Regionalwert-AGs zeigt sich dies in der intensiven Arbeit von Christian Hiß (Gründer der ersten Regionalwert-AG) an einer zeitgemäßen Buchführung, die Gewinne nur dann als solche ausweist, wenn „gleichzeitig die sozialen und ökologischen Vermögen“ (Hiß 2015, 16), wie z.B. die Bodenfruchtbarkeit oder die Artenvielfalt, zunehmen. Hinzu kommt die Gründung der Regionalwert Research gGmbH im Jahr 2022, (entstanden aus der Forschungsabteilung der Regionalwert AG Freiburg), die Forschungsprojekte im Bereich „True-Cost“-Accounting durchführen. Die nestbau AG erstellt bereits seit 2018 eine Gemeinwohl-Bilanz und ist aktives Mitglied der Gemeinwohl-Ökonomie.
Abgeleitet aus der klaren Positionierung zum sozial-ökologischen Wirtschaften ergibt sich für die Bürger-AGs zweitens ein bewusster Verzicht auf Gewinnmaximierung und folgerichtig eine Reduktion der Renditeerwartungen der Aktionär:innen, zum Teil bis hin zum vollständigen Ersatz der finanziellen durch eine ideelle Rendite. Die Regionalwert-AGs sind von Anfang an auf den vollständigen Verzicht ihrer Aktionär:innen auf Finanzrendite ausgelegt. Die solarcomplex AG formuliert auf ihrer Homepage als Ziel eine „moderate Wertsteigerung und eine bescheidene Dividende“ (Solarcomplex 2024).
Ein dritter signifikanter Unterschied zu klassischen AGs ist die Höhe der Vorstandsvergütung. Die Vorstände der Bürger-AGs erhalten weit weniger als für Vorstände von AGs üblich**. Dies ist zu einem Teil zwar auf begrenzte finanzielle Möglichkeiten zurückzuführen, gehört aber auch zum Selbstverständnis. Bei der nestbau AG beispielsweise sind die Vorstandgehälter per Satzung auf maximal das Dreifache des niedrigsten Gehalts gedeckelt, um auch im Falle größerer finanzieller Spielräume hohe Gehaltsunterschiede zu vermeiden. (n.e.s.t. Bauprojektierung und Vermietung AG 2024b, 4).
Warum eine Bürger-AG gründen?
Die Bereiche Landwirtschaft, erneuerbare Energien und Wohnen, in denen die Bürger-AGs bisher aktiv sind, haben drei Charakteristika, die zusammengenommen für die Gründung einer Bürger-AG sprechen. Erstens haben sie eine hohe Relevanz für die Grundversorgung unserer Gesellschaften. Zweitens besteht ein massiver Transformationsbedarf, um eine sozial-ökologische Ausgestaltung dieser Bereiche zu erreichen. Drittens sind für eine solche Transformation langfristig angelegte und hohe Investitionen notwendig.
Die ersten beiden Punkte ermöglichen es, solche Aktionär:innen zu gewinnen, die bei ihrem Investment vorranging an der gesellschaftlichen Wirkung und nicht an einer finanziellen Rendite interessiert sind. Der dritte Punkt steht jedoch rein spendenfinanzierten Initiativen entgegen, da selbst sechs- oder siebenstellige Summen in den genannten Bereichen nur wenig ausrichten können. Die eingesammelten Gelder der Bürger AGs fließen nur zu einem Bruchteil in Gehälter und Dienstleistungen und weit überwiegend in den Kauf von Vermögensgegenständen. Dadurch bauen die Bürger-AGs langfristig ein Anlagevermögen auf, das im Idealfall dem Wert der ausgegebenen Aktien entspricht oder diesen übersteigt. Dies ist einerseits maßgeblich, um die Aktionär:innen vor einem Totalausfall zu schützen und dient andererseits dem langfristigen Werterhalt der Aktien. Die Aktionär:innen stellen den Bürger-AGs also für einige Zeit ihr Kapital zur Verfügung und verzichten ganz oder teilweise auf finanzielle Rendite. Im Gegensatz zur Spende bleibt das eingesetzte Kapital aber erhalten und kann bei Bedarf wieder herausgeholt werden.
Warum eine AG statt einer Genossenschaft?
In vielerlei Hinsicht agieren Bürger-AGs wie Genossenschaften. Aus Sicht des Unternehmens bietet die Rechtsform der AG jedoch den Vorteil, dass Aktien im Gegensatz zu Genossenschaftsanteilen nicht gekündigt werden können. Das Grundkapital der AG bleibt somit dauerhaft erhalten. Dies verringert das Liquiditätsrisiko und macht langfristige Projekte besser möglich. Dem entgegen stehen normative Bedenken aufgrund der Verteilung des Stimmrechts nach gezeichnetem Kapital. Die Bürger-AGs sind daher in der Tendenz weit weniger demokratisch als Genossenschaften, in denen jedes Mitglied unabhängig von der Höhe der Einlage über das gleiche Stimmrecht verfügt. Bei der nestbau AG ist dies allerdings dadurch abgemildert, dass die Satzung eine Stimmrechtsbegrenzung auf maximal 5 % des Grundkapitals vorsieht (n.e.s.t. Bauprojektierung und Vermietung AG 2024b, 10).
Was sind die Schwierigkeiten?
Im Prinzip bietet die AG also interessante Möglichkeiten, Kapital für den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft zu bündeln. Doch in der Praxis gibt es drei wesentliche Hürden.
(1) Aktienemissionen sind stark reguliert. Die Bürger-AGs sind daher auf meist teure aktien- und finanzmarktrechtliche Expertise angewiesen, um potenziell existenzbedrohende Fehler zu vermeiden. Ein Unternehmen, das Aktien emittiert, muss abhängig vom geplanten Emissionsvolumen entweder ein Wertpapier-Informationsblatt (für ein geringes Emissionsvolumen) oder ein Wertpapierprospekt (für ein höheres Emissionsvolumen) erstellen und dieses bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) genehmigen lassen (WpPG § 3 Abs 1; §4 Abs. 1 und 2 kein Datum). Der Aufwand zur Erstellung eines Wertpapierprospekts ist ungleich größer als jener für ein Wertpapier-Informationsblatt und kann mit Beratungsleistungen und internem Aufwand schnell hohe fünfstellige Summen kosten. Für kleine AGs kommt daher meist nur der vereinfachte Weg über das Wertpapier-Informationsblatt in Frage, was deren Emissionsvolumen auf 1 Million € pro Jahr begrenzt***. Dies ist leider deutlich unter dem Kapitalbedarf für Investitionen in den Bereichen Landwirtschaft, erneuerbare Energien und Wohnungswirtschaft. Hinzu kommt, dass die Gebührenordnung der BaFin für die Billigung eines Wertpapierprospekts oder eines Wertpapier-Informationsblatts Größenunterschiede der einreichenden Unternehmen nicht berücksichtigt. Es werden Einheitsgebühren in Höhe von 16.915 € bzw. 5.923 € erhoben (FinDAGebV; Anlage zu §2 Absatz 1; Nr. 3.1), wodurch kleine AGs relativ zur Unternehmensgröße deutlich stärker belastet werden.
(2) Bürger-AGs sind auf die Bereitschaft von Menschen zum mindestens teilweisen Verzicht auf Rendite angewiesen. Sie sind einerseits Pioniere in dem Bereich der ethisch-nachhaltigen Geldanlage und bewegen sich dennoch in einem stark umkämpften Feld. Denn es gibt durchaus einen Boom nachhaltiger Geldanlagen, der jedoch ambivalent zu sehen ist. Einerseits ist das Anlagevolumen deutlich angestiegen (Forum Nachhaltige Geldanlage 2024, 38), andererseits versprechen angeblich grüne Investments zum Teil marktübliche Renditen, was den von den Aktionär:innen verlangten Renditeverzicht zunehmend erklärungsbedürftig macht.
(3) Probleme bereitet auch das Ziel des verlustfreien Ausstiegs. Während die Aktien in der Theorie frei verkauft werden können, stellt sich dies in der Praxis schwieriger dar. Es fehlt an einfachen Verkaufsmöglichkeiten einerseits und an Nachfrage nach den Bürger-Aktien andererseits. Denn der grundsätzlich hierfür vorgesehene Markt (die Börsen) steht den kleinen Bürger-AGs wegen des damit verbundenen finanziellen und organisatorischen Aufwands eher nicht zur Verfügung. Also müssen andere Wege gefunden werden, wie Personen, die Aktien verkaufen möchten, Kontakt zu potenziellen Erwerber:innen bekommen. Ferner stehen verkaufswillige Aktionär:innen in Konkurrenz zu ihrer eigenen AG, sofern diese gerade eigene Aktien ausgibt.
Es ist also nicht einfach eine Bürger-AG aufzubauen, doch die erste Pionierarbeit ist gemacht. Wenn es mittelfristig gelingt, ein Netzwerk von Bürger-AGs zu etablieren, können die genannten Herausforderungen gezielt angegangen werden z.B. durch gemeinsame Lobbyarbeit für vereinfachte Emissionsverfahren, Kooperationen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, sowie eventuell den Aufbau einer gemeinsamen Handelsplattform um den Verkauf der Aktien zu erleichtern. Sollte dies gelingen, könnten die Bürger-AGs in einigen Sektoren zu wichtigen Akteuren einer sozial-ökologischen Transformation werden.
Endnoten
*Die Solarcomplex AG bezeichnet sich selbst nicht als Bürger-AG, es finden sich jedoch ähnliche Selbstbezeichnungen wie beispielsweise „regionales Bürgerunternehmen“ (solarcomplex AG 2024, 1).
**Der Vorstand der größten Regionalwert AG Freiburg-Südbaden verdiente im Jahr 2023 90.000 € (Regionalwert AG Freiburg-Südbaden 2024, 13), der Vorstand der nestbau AG gut 50.000 € (n.e.s.t. Bauprojektierung und Vermietung AG 2024a, 50): Die Bürger-AG für regionales und nachhaltiges Wirtschaften hatte insgesamt nur gut 30.000 € Personalaufwand (Bürger-AG für regionales und nachhaltiges Wirtschaften 2024, 7).
***§3 Abs. 2 WpPG spricht zunächst von einer Grenze von bis zu 8 Millionen € (bezogen auf 12 Monate), bis zu welcher die Prospektpflicht ausgesetzt ist und nur ein Wertpapier-Informationsblatt erstellt werden muss. Diese Grenze wird jedoch in §6 eingeschränkt und gilt bei Beträgen über 1 Million € nur wenn „die angebotenen Wertpapiere ausschließlich im Wege der Anlageberatung oder Anlagevermittlung über ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen vermittelt werden“ (WpPG §6 kein Datum). Eine solch professionelle Vermittlung kostet schnell fünf- bis sechsstellige Summen und kommt daher in der Praxis ebenfalls kaum in Betracht.
Zum Autor
Markus Buckenmayer hat im Master Ökonomie an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung studiert. Er arbeitet bei der nestbau AG, einer Bürger-Aktiengesellschaft, welche sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzt. Er ist dort verantwortlich für das Finanzcontrolling und die Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz. Zudem unterstützt er in der strategischen Weiterentwicklung und im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Markus engagiert sich in der Gemeinwohl-Ökonomie für ein soziales und ökologisch nachhaltiges Wirtschaftssystem. Er beschäftigt sich mit nachhaltiger und partizipativer Unternehmensführung, feministischer und Postwachstums-Ökonomie, Theoriegeschichte der Ökonomie, sowie mit der Modern Monetary Theory.
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