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Der lange Weg ins Vikariehaus - Teil 2

von Anna Schmidt


Diese Geschichte beginnt mit den Vertragsverhandlungen für das Vikariehaus (Viki) Ende 2023 und endet kurz vor der Umzugswoche im August 2024, in der wir viele Kräfte gebündelt haben, um es für das Wintersemester 2024/25 bezugsbereit zu machen. Wie wir an diesen Punkt gekommen sind, könnt ihr im ersten Teil dieses Artikels lesen.


Ich schreibe diesen Beitrag aus Sicht einer Person, die an verschiedenen Stellen des Umzugsprozesses beteiligt war und darüber hinaus den Studierendenverein seit knapp zwei Jahren kennt und mitgestaltet. In dieser ganzen Zeit und für diesen Artikel speziell in Bezug auf den Umzug habe ich das immense Arbeitspensum von Einigen wahrgenommen, die vielfältigen Aufgaben, die viele Rädchen, die ineinander drehen. Von außen betrachtet sieht man oft nur den Erfolg: nach Jahren der Suche haben wir als Verein endlich ein Studihaus, in dem wir bleiben können. Aber wie sieht es von Innen aus? Was sagen die Beteiligten? Wer trägt diesen Verein und wenn ja, wie viele?


Die Umzugscrew beim Mittagessen im Innenhof


Vom Suchen zum Finden: November 2023 bis März 2024

Zuerst spreche ich mit Rieke (Bachelor 2023), die von November 2023 bis März 2024 die Kommunikation für das Vikariehaus übernahm und zusammen mit Pelle Anfang 2024 den Mietvertrag verhandelte.


Das Vikariehaus neben der Citykirche ist ein Gemeinschaftshaus im Besitz der Katholischen Kirche. Ein Haus gebaut für gemeinschaftliches Wohnen, mit Gemeinschafts- und Schlafräumen, zuletzt bewohnt von Arnsteiner Patres. Im Oktober 2023 zogen die letzten Patres aus und verließen damit ein dreistöckiges Haus, das sich nicht so einfach umnutzen ließ. Im November 2023 erfuhr dann die Haussuchegruppe von dem leerstehenden Gebäude am Jesuitenplatz im Herzen der Altstadt. Im Dezember beziehungsweise Januar übernahmen Rieke und Pelle die Hauptverantwortung für die Kommunikation mit den Kirchenvertreter*innen bezüglich der Vermietung des Vikariehauses. „Es wurde immer vielversprechender. Da war die Vorfreude, im Haus zu sein, sehen, wie schön es sein könnte. Da habe ich nicht wahrgenommen, dass es anstrengend war“, meint Rieke. Denn herausfordernd war der Prozess die ganze Zeit, ab Januar wurde jedoch der Zeitdruck immer größer. In den letzten Februarwochen schließlich stieg das Arbeitspensum enorm. Selten verließen Rieke und Pelle, unterstützt von Christopher-Robin als Vorstandsmitglied des Studierendenvereins, die Bibliothek, die als improvisiertes Planungsbüro fungierte, vor 23 Uhr. Die Herausforderung lag darin, den neuen Mietvertrag abzuschließen, bevor die Kündigungsfrist unseres damaligen Hauses in Boppard verstrich. Alles musste auf Tag und Stunde genau unter Dach und Fach sein.  


Der Vereinsvorstand und die anderen Mitglieder der Haussuchegruppe begleiteten den Prozess, boten Hilfe an und übernahmen, wie bereits in den ganzen Jahren zuvor, viele Kernaufgaben. Auch konnten sie bei einigen Fragen eine hilfreiche Außenperspektive bieten. „Doch die Aufgabe der Koordination, immer alles im Blick zu haben, möglichst wenig unbeabsichtigt herunterfallen zu lassen - die lag primär bei uns“, sagt Rieke. Grundsätzlich ist sie aber der Meinung, dass es trotz der temporären Überlastung gut gelaufen ist.  


Bis zuletzt blieb der Ausgang des Projektes ungewiss. Auf einer kurzfristig einberufenen Mitgliederversammlung, kurz vor dem erhofften Vertragsabschluss, wurden ein letztes Mal alle Eventualitäten vorgestellt und diskutiert. Am 4. März schließlich hielten Rieke, Pelle, Christopher-Robin und Nils den unterschriebenen Vertrag in den Händen und konnten die frohe Kunde in die Studierendenschaft tragen. 


Christopher-Robin, Rieke, Pelle und Nils mit dem unterschriebenen Vertrag


Eine Sache, die Rieke gelernt hat, ist, dass sich Dranbleiben lohnt. Gleichzeitig gehört viel Glück dazu: „Lorenz hatte vor Jahren mal einen guten Eindruck bei den Kirchenvertreter*innen von der katholischen Kirche in Koblenz gemacht, da hatten wir einen Vertrauensvorschuss“, so Rieke. Auf der anderen Seite sollten wir immer bedenken, dass dranbleiben auch gefährlich sein kann, wenn das Ausmaß eines Projektes falsch eingeschätzt wird und die Kapazitäten der Menschen, die es tragen wollen, nicht ausreichen. Wie viel Verantwortung für unseren Verein ist einzelnen Personen zumutbar – und wer übernimmt sie?  


Mit diesem Vertragsabschluss war ein Meilenstein gesetzt. Damit fing die Arbeit jedoch erst an. Auf der Suche nach Innenansichten aus dem Planungsprozesses des Umzugs habe ich mich Julian, Jacky und Christopher-Robin unterhalten.  


Nach der Arbeit ist vor der Arbeit: April bis Juli 2024  

Julian (Master 2023), meldete sich sofort, als Rieke und Pelle endlich Aufgabenpakete abgeben konnten. Es ging darum, die Küchen- und Installations-Taskforce zu gründen (später liebevoll in Küchenfeen umbenannt), die sich darum kümmern sollte, Wasser- und Elektro-Anschlüsse mit der Kirche zu besprechen. Später übernahm Julian auch die Kommunikation mit der Kirche. Auf die Frage, ob das nicht alles zu viel war, meint er: „Jaa, war viel, war aber auch ganz gut. Ist cool, tief drin zu sein, macht Bock, alles mitzukriegen.“ Aufgrund des starken Bezugs, den Julian selbst bereits zum Haus hat, ist er manchmal überrascht, dass noch immer (zum Zeitpunkt des Interviews im Juni) viele Studis das neue Studihaus noch nicht von innen gesehen haben.   


Das Highlight der Planungsphase, das sieht nicht nur Julian so, war der „Tag mit Viki“: Im April 2024 besuchten wir zum ersten Mal mit einer größeren Gruppe von Studis das Haus und brachten gemeinsam den Umzugsprozess ins Rollen. Es bildeten sich verschiedene Taskforces mit verwirrenden Namen wie HauRuck, Geldregen oder Metaminds. Diese Gruppen bearbeiteten verschiedene Aspekte des Umzugs. Zusätzlich gab es das wöchentliche sogenannte Deliplenum (Plenum der Delegierten aus den verschiedenen Taskforces), in welchem die verschiedenen Planungs-AGs sich über ihren jeweiligen Stand austauschten.  


Prozessauftakt beim "Tag mit Viki"


Eine der anstrengenderen Aufgaben für die Küchenfeen war die Beschaffung eines Gastroherds. Da das Viki nur über eine haushaltsübliche Kücheneinrichtung verfügte, war die Suche nach einem leistungsstärkeren Herd unerlässlich. Niemand von den Küchenfeen (denen auch ich angehörte) hatte Ahnung von Herden oder überhaupt von Elektrik. Mit einer Mischung aus Belustigung und Verzweiflung stellten wir uns immer wieder die Frage: Warum haben wir uns für diese Aufgabe bloß freiwillig gemeldet? Aber wir arbeiteten uns ein und machten die Erfahrung: Somehow it works. Wir diskutierten mit den Elektrikern über mögliche Überlastungen des Stromkreislaufs, sorgten dafür, dass die Anschlüsse für den neuen Herd verlegt wurden und fanden letztlich ein für uns perfektes Exemplar auf Kleinanzeigen. Wer weiß, wozu uns das Wissen über Ampere, Schukostecker und Drehstromphasen in Zukunft nützt. Gesellschaftsgestaltung ist schließlich auch Handarbeit.   


Werfen wir nun nochmal einen genaueren Blick auf die “Metaminds” und auf Jacky (Bachelor 2023), die sich unter anderem hier einbrachte. Die Metaminds schafften die Grundstruktur für die Zusammenarbeit der Taskforces: Wann gibt es Treffen, was muss besprochen werden, was brauchen welche Gruppen voneinander? Vor allem ab Woche 10 wurde es herausfordernd, den gemeinsamen Besprechungsraum der Deliplena und die Motivation im Allgemeinen aufrecht zu erhalten. „Weiter optimistisch bleiben, motivierend bleiben, nicht den Kopf in den Sand stecken, wenn immer weniger Teilnehmende zu den Deliplena kommen. Am Ende waren es immer die gleichen“, so Jacky. Durch die Taskforcestruktur und die Deliplena gab es in der Theorie niemanden, der die Hauptverantwortung im Projekt trug, diese war auf viele Schultern verteilt. Dennoch wurde es für manche Menschen mit der Zeit viel schwieriger als für andere, sich zeitweise oder ganz rauszuziehen, so Jackys Eindruck. Für andere war das oft nicht einfach zu erkennen, denn es war trotz aller Kommunikations-bemühungen schwierig zu überblicken, wer an welcher Stelle wieviel arbeitete.  


Wie schafft man es also, einen Rahmen für so ein Projekt zu halten? „Theoretisch ist ja ganz viel machbar“, sagt Jacky. “Und dann geht es aber darum, im Blick zu behalten, wie viele Kapazitäten wir haben und welche Prioritäten man setzen will“. Wir müssen vom Träumen in die Planung und von der Planung in die Umsetzung kommen. Das beinhaltet auch, gewisse Dinge bewusst von der Liste runterzunehmen und sie nicht weiter als großes ‘Vielleicht’ im Raum wabern zu lassen. Für die Menschen, die am Umzug beteiligt waren, hatte dieser nicht immer die gleiche Priorität gegenüber Studium, Job oder sonstigen Projekten. Folglich konnten manche viel Zeit für das Projekt aufwenden und andere weniger. Es ist richtig und wichtig das anzuerkennen. Und doch weiß man letztlich nicht: kriegt man für die ein oder andere Sache nicht doch noch Menschen mobilisiert, sodass wir mehr von unserem Träumen in die Tat umsetzen können? Das muss immer wieder aufs Neue austariert werden. In jedem Fall hilft eine gesunde Portion Optimismus: „Mit hohem Anspruch rangehen und den Realismus walten lassen.”   


Für Jacky war es eine gute Erfahrung, Teil dieses Prozesses zu sein, da sie dadurch mit vielen Menschen in Kontakt gekommen ist und sich Verbindungen neu formen oder stärken konnten. Außerdem hat Jacky für sich erkannt, was Gemeinschaft in der Ausformulierung bedeutet: nämlich Vertrauen zu haben, dass Dinge schon klappen werden, auch wenn man sich nicht selbst darum kümmert. Jackys Fazit: „Ich würd‘s nochmal machen.”   


Um zu meinem nächsten Gesprächspartner überzuleiten, greife ich nochmal die Herdgeschichte auf, zu der auch gehörte, ein dem Herd entsprechendes Loch in die Küchenzeile zu sägen, eine Aufgabe, die Jacky und Christoper-Robin (Bachelor 2021) in Angriff nahmen. Einem ästhetischen Anspruch konnte dieses Unter-fangen nur bedingt gerecht werden, aber wie bei manch anderer Frage der Raumgestaltung, überwog der Wunsch nach einer praktikablen und vor allem billigen Lösung. Als der Herd endlich ankam und vier Studis ihn die Treppe ins erste Obergeschoss gehievt hatten, wurde mit Erleichterung festgestellt, dass er gerade so durch die Küchentür passte – einen Umstand, an den bis dahin niemand gedacht hatte!  


Christopher-Robin ist schon lange in den Prozess involviert: 2023 in seiner Rolle als Vorstandsmitglied (vor allem Beschäftigung mit Rechtsfragen), dann in der Taskforce, um Rieke und Pelle zu unterstützen. Später wurde er Teil der Metamind- und der Raumrausch-Gruppe. Christopher-Robin blickt mit Spannung auf den Umzug: „Es wird sich in der Umzugswoche zeigen, wie gut wir aufgestellt sind“. Gemeint ist damit: Was haben wir mitgedacht, was vielleicht nicht? Gehen unsere Pläne auf, oder werden wir vor einem großen Chaos stehen? Erschwert wurde die ganze Vorbereitung dadurch, dass der große Teil der Studierenden-schaft nicht regelmäßig in Koblenz ist. Dadurch waren digitale Meetingräume der Haupttreffpunkt, was an sich schon belastender ist als persönliche Treffen. Hinzu kam, dass viele Aufgaben eine Bearbeitung vor Ort erforderten. Diese wurden oft von in Koblenz wohnenden Studis übernommen, die aber nicht im selben Maße auf das Haus angewiesen sein werden wie Pendler*innen. Diese erschwerten Rahmenbedingungen haben für Christopher-Robin das Durchhaltevermögen auf die Probe gestellt. Und Durchhaltevermögen hat es gebraucht. „Der Alltagsbetrieb stand ja auch nicht still, und es wurden immer weniger Leute, die sich einbringen konnten und es gemacht haben“, so Christopher-Robin. Lag es an Frustrations-erfahrungen von einzelnen Menschen? Oft geschah es, dass eine scheinbar kleine Aufgabe größere Probleme zu Tage förderte. „Man packt eine Sache an und das zieht einen ganzen Rattenschwanz mit sich.“   


Im Laufe des Prozesses hat sich auch immer wieder gezeigt, was Studieren an der HfGG bedeutet: Auf der einen Seite sind da die Bücher und die Theorie, auf der anderen Seite die ganz praktischen Fragen danach, wie wir uns versorgen. Hands-on-Wirtschaft sozusagen.   


Hol den Akkuschrauber! Sie haben uns ein Stockbett gebaut! - Impressionen aus der Umzugswoche


Und jetzt?   


Und jetzt haben wir Dezember. Umzug und Orientierungswoche haben wir erfolgreich hinter uns gebracht und das Viki ist voller Leben.  Vieles hat gut funktioniert, vieles muss sich noch einfinden und einem Praxistest unterzogen werden. Mal mit Zeitdruck, mal entspannt, mal mit wenig Fachwissen, mal mit gar keinem und – auch wenn es manchmal nicht den Anschein hatte – letztlich mit der Unterstützung vieler Menschen. Wir haben es geschafft, die Haussuche zu beenden und, wie Christopher-Robin abschließend sagte, einen Ort zu finden, an dem wir sein wollen und nicht müssen.  


Ich bin zugegebenermaßen erleichtert, dass die Grundstimmung meiner Gesprächspartner*innen eine positive ist und nicht Anstrengung oder Frust überwiegen. Nichtsdestotrotz gilt es immer wieder, einen kritischen Blick auf unsere Strukturen zu werfen und zu überprüfen, ob es nicht nur im Großen und Ganzen, sondern auch individuell für die Menschen dahinter funktioniert.   


Danke an alle, die einen Teil des Puzzles gelegt haben. Viel wird gesehen und immer wieder hervorgehoben und vieles nicht. Dieser Artikel wirft einen kleinen Scheinwerfer auf verschiedene Ausschnitte des gesamten Projektes. Bitte seht es uns nach, wenn viel unerwähnt bleibt. Und pflegt, sucht und nutzt die Räume, in denen wir miteinander über unsere Erfahrungen sprechen können, damit die Geschichten in vielen Farben schillern.   



 

Hintergrund

Seit dem Wintersemester 2024 bewohnt die Studierendengemeinschaft für Gesellschaftsgestaltung e. V. das Vikariehaus am Jesuitenplatz in Koblenz. Der Weg dahin wird in diesem Zweiteiler erzählt.


Anna Schmidt

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung studiert Anna den Master Ökonomie - Nachhaltigkeit – Gesellschaftsgestaltung an der HfGG. Neben ihrer Arbeit in der Blogredaktion ist sie aktiver Teil des Studivereins und versucht, Wissen und Geschichten an die nächste Generation weiterzugeben. 


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