Über falsche Hoffnungen in der Bauwende
von Nils Urbanus
Eine tiefgreifende Bauwende ist längst überfällig. Allein die Zementindustrie, das Fundament der Baubranche, ist für bis zu acht Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich (Andrew 2018, S. 195). Doch die Herausforderungen sind groß und der Diskurs voller Traumschlösser.
Diese Grafik wurde mit Chat GPT 4 erstellt.
Der graue Klimakiller
Dass die Zementindustrie so hohe Emissionen hat, ist erstmal nicht verwunderlich. Beton ist überall – von den Baustellen der Pyramiden im antiken Ägypten, bis hin zu gigantischen Staudämmen und Wolkenkratzern der Neuzeit. Er ist billig, stabil und vergleichsweise einfach herzustellen. Die konkrete Mischung variiert zwar, doch der Kern ist gleichgeblieben: das, was den Beton zusammenhält, ist der Zement. Dieser besteht wiederum zum größten Teil aus Klinker, welcher Branntkalk benötigt.
Und da fängt das Problem an, denn damit der Kalkstein (CaCO3) zu Branntkalk wird (CaO), muss er auf bis zu 1.400°C erhitzt werden. Dazu wird entsprechend viel Energie benötigt, die meist mit fossilen Brennstoffen hergestellt werden muss. Außerdem entsteht – wie die Chemie-Nerds schon bemerkt haben werden – in der Reaktion zwingend CO₂ (Gagg 2014, S. 115). Und das ist nicht wenig: knapp 60% der Emissionen der Industrie entstehen durch diesen chemischen Prozess (VDZ 2020, S. 40).
Kein Grund zur Panik
Aber die Zementindustrie hat schon längst ihre blau-karierten-Ingenieurshemd-Ärmel hochgekrempelt und sagt, dass sie alles im Griff hat. Konkret sieht sie fünf zentrale Hebel: Cement, Concrete, Construction, (Re)-Carbonation und Clinker (ebd., S. 17).
Fangen wir vorne an: Mit allerlei technischen Innovationen soll weniger Klinker im Zement (Cement) verwendet werden und wiederum weniger Zement im Beton (Concrete). Damit soll für die gleiche Tonne Beton weniger CO₂ ausgestoßen werden müssen. Da hofft die Industrie auf das Beimischen neuer Stoffe und sagt, dass immerhin 10-20% der Emissionen so eingespart werden könnten (ebd., S. 43).
Doch da hören die Innovationen nicht auf: Auch neue Bauweisen (Construction), wie der 3D-Druck von Häusern sollen nochmal 3-5% einsparen (ebd., S. 31–32, 40–41). Und bei (Re)Carbonation kommt einem Beton auf einmal gar nicht mehr so grau und leblos vor: So nehmen Betonbauwerke sowieso über ihre Lebenszeit etwas CO₂ wieder auf. Das ist zwar zeitlich verschoben – und die Emissionen wirken in der Zeit bereits als Treibhausgase – aber immerhin sind es laut der Industrie wieder um die 15%, die als CO₂-Einsparung angerechnet werden können (ebd., S. 35).
Kommen wir zum Kern des Problems: Beim Klinker (Clinker) muss weiter auf Branntkalk gesetzt werden (ebd., S. 29, 40), aber immerhin lässt sich mit intelligenten Lösungen Energie sparen und es lassen sich sogar Alternativen zur Kohleverbrennung finden: Zwar können mit Wasserstoff und Strom nicht so hohe Temperaturen hergestellt werden, aber die Industrie setzt stattdessen auf: alternative Brennstoffe! Das hört sich modern an und wird als CO₂-sparend beschrieben, tatsächlich ist es: Müll. Von Altreifen über Klärschlamm und Altöl bis hin zu zermalmten Tieren nimmt die Menge an verbranntem Müll in Zementwerken stetig zu und sorgte damit nicht nur für eine recht regulationsbefreite Müllverbrennung, sondern auch für Millionengewinne der Zementhersteller (Orosz 2021). Als Teil der grünen Transformation soll statt Kohle in Zukunft vor allem Müll verbrannt werden (VDZ 2020, S. 48).
Und damit droht die fein konstruierte Lösung zur Dekarbonisierung zusammenzubrechen: Wenn bei der Klinkerherstellung weder die prozessbezogenen, noch die energiebezogenen Emissionen umgangen werden können, bleiben trotz der anderen Maßnahmen immer noch über die Hälfte der CO₂-Emissionen übrig (ebd., S. 40–41)!
Aber die Zementhersteller haben ein letztes Ass im Ärmel: Carbon Capture and Storage (CCS).1 Die verbleibenden Emissionen werden einfach aufgefangen und unter dem Meeresboden vergraben (ebd., S. 40–41). Hört sich fast zu gut an, um wahr zu sein.
Das graue Luftschloss bröckelt
Und tatsächlich ist das Thema gar nicht so leicht abgefrühstückt. Von der Abscheidung, über den Transport, bis hin zur Speicherung wimmelt es an Risiken.
Zum Auffangen des CO₂ braucht es neue, teure Technik an den Zementanlagen, die nicht nur den Energieverbrauch verdreifachen würden (Schneider et al. 2023, S. 11), sondern auch für zusätzliche Feinstaub-, Stickoxid- und Ammoniakemissionen sorgen können (Fendt et al. 2023, S. 17).
Und da die wenigsten Zementwerke zufällig direkt an CO₂-Lagerorten stehen, wären nicht nur LKWs, sondern auch Schiffe, Züge und ein ganzes Pipelinenetz zum CO₂-Transport nötig (VDZ 2020, S. 23). Das soll nach Wünschen der Industrie allein in Deutschland fast 5000km lang sein und mit rund 14 Milliarden Euro neu gebaut werden (ebd., S. 37). Das CO₂ muss für den Transport entweder auf sehr niedrige Temperaturen oder auf entsprechend hohen Druck gebracht werden (VDZ 2024, S. 31–32). Das schluckt nicht nur viel Energie, sondern kann bei Unfällen auch brandgefährlich werden, wie die Bewohner*innen der Stadt Satartia in Mississippi am eigenen Körper spüren mussten. Als im Februar 2020 eine CO₂-Pipeline in der Nähe platzte, wurde die Stadt in eine giftige Wolke gehüllt und es spielten sich apokalyptische Szenen ab, bei denen trotz schneller Hilfe mindestens 45 Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten (Zegart 2021).
Auch bei der Speicherung, die meist unter dem Meeresboden stattfinden soll, bahnen sich erhebliche Risiken und Probleme der Technologie an. Da die geologischen Formationen schwer einzuschätzen sind und das CO₂ dazu noch mit dem Gestein wechselwirkt (Gholami et al. 2021), sind Lecks in der Speicherung wahrscheinlich. Solche Leckagen könnten nicht nur für die Ökosysteme im Meer und die Arbeiter*innen der CO₂-Speicheranlagen gefährlich werden, sondern selbst bei einer geringen Größe einen erheblichen Teil der Emissionen wieder austreten lassen (Fendt et al. 2023, S. 21).
Um die Risiken besser einschätzen zu können, bräuchte es langfristige, großflächige Experimente. Vor allem, da diese potenziellen Gefahren durch die zunehmenden Auswirkungen der Klimakrise, wie Wirbelstürme und erwärmte Gewässern noch zusätzlich verstärkt werden können (Fendt et al. 2023, S. 16). Gleichzeitig ist aber der Zeitdruck sehr hoch; allein die Zementindustrie rechnet ab 2050 mit ca. 1,37 Mrd. Tonnen, die jedes Jahr gespeichert werden müssten (GCCA 2021, S. 10).
Bei diesen Herausforderungen ist es kein Wunder, dass der CCS-Ausbau deutlich langsamer als geplant vorangeht und ein Großteil der geplanten Projekte scheitert (Martin-Roberts et al. 2021, S. 1570, 1580). Heute sind gerade einmal 41 CCS-Anlagen in Betrieb, von denen wiederum ca. 70% Enhanced-Oil-Recovery-Projekte sind, also dazu dienen, bestehende Erdöl-Lagerstätten zusätzlich auszubeuten und damit weitere fossile Rohstoffe zu extrahieren (Global CSS Institute 2023, S. 77–78).
Mit dieser Ausgangslage wird geschätzt, dass 2050 gerade einmal ca. 0,7 Mrd. Tonnen pro Jahr gespeichert werden könnten – wenn die Erdöl-Projekte herausgenommen werden, sogar nur 0,07-0,3 Milliarden Tonnen pro Jahr (Martin-Roberts et al. 2021, S. 1575). Also maximal gerade einmal ein Fünftel der Menge, die allein die Zementindustrie benötigt – und das bei erheblichen zusätzlichen Risiken für Mensch und Natur.
Ob das wirklich die Lösung des Problems darstellt?
There is no alternative
Berlin, den 26.02.2024. Um 8:30 Uhr betreten drei Menschen eine Pressekonferenz im Bundeswirtschaftsministerium. Neben Robert Habeck sind es der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Dominik von Achten, CEO von HeidelbergMaterials, dem zweitgrößten Zementhersteller weltweit. Der Grund für diese ungewöhnliche Dreierkombi: Die Carbon Management Strategie der Bundesregierung wird vorgestellt – und dort sind zu CSS ganz andere Töne zu hören.
Ohne CCS und CCU „sind die Klimaziele unmöglich zu erreichen“, sagt Habeck. Er erinnert sich zwar daran zurück, wie er früher gegen CCS gekämpft hatte, jetzt sei aber klar: „Diese Technologie ist sicher. Das CO2 bleibt in der Erde. Die Zeit ist abgelaufen. […] Wir müssen das nutzen, was wir haben und dazu gehört aus meiner Sicht CCS.“ Manche Emissionen, wie die der Zementindustrie, sind einfach nicht zu vermeiden, es sind halt „schwer oder gar nicht dekarbonisierbare Sektoren“ und „wir sind nicht mehr in einer Welt, in der wir Rosinen picken können.“ Auch Dominik von Achten schließt daran an: „Ohne CCS, gerade für die unvermeidbaren CO2-Emissionen, wird es nicht gehen.“
Das Ergebnis: CCS in Deutschland soll erlaubt und kräftig staatlich subventioniert werden. Immerhin für Kohleverstromung wird es verboten bleiben und in Meeresschutzgebiete soll es nicht gepumpt werden. Scheint, als müssten wir die Risiken von CCS bei der Bauwende in Kauf nehmen.
Rettung aus dem Wald?
Aber ist es wirklich so alternativlos? Zoomen wir mal ein Stück raus: Eventuell sind die Emissionen in der Zementindustrie zwingend nötig, aber vielleicht ist es die Zementindustrie selbst nicht. Was, wenn wir Beton einfach durch Holz ersetzen könnten, das wächst schließlich nach, speichert dabei auch noch CO₂ und ist überall um uns verfügbar.
Hört sich erst einmal sinnvoll an und wird im Diskurs auch als vielversprechendste Alternative besprochen – aber auch Holz sorgt für Probleme. Schließlich wird ein Baum nicht vollständig als Baustoff benutzt, sondern, sondern ein großer Teil, wie die Wurzeln, muss beim Fällen zum Zersetzen liegen gelassen werden. Dazu kommen eine Menge an Spänen oder Sägemehl, die meist verbrannt werden. Außerdem könnten Wälder meist mehr Emissionen aufnehmen, wenn nicht Teile davon regelmäßig abgeholzt werden würden.
Daher kommt das World Resources Institute zu einem unerwarteten Punkt: Wenn weltweit ein Großteil der Gebäude mit Holz statt Beton gebaut werden würde, würden die CO₂-Emissionen im Vergleich sogar zunehmen! Auch würde die dann extrem steigende Nachfrage zusätzliches Land für Forstwirtschaft brauchen – doch Land ist knapp und das könnte nicht nur die Biodiversitätskrise anheizen sondern auch für neue Konflikte sorgen (Searchinger et al. 2023).
Politik des Genug
Wenn auch Holz nicht die Lösung ist, bleibt uns nichts anderes übrig als noch weiter rauszuzoomen. So wird im Diskurs eine Sache unausgesprochen vorausgesetzt: Es soll weiterhin genauso viel oder sogar noch mehr gebaut werden wie bisher. Ökologischer Umbau ja, aber ansonsten soll alles bleiben, wie es ist.
Nur unter dieser Prämisse des Grünen Wachstums werden die Emissionen erst schwer vermeidbar oder sogar unvermeidbar. Und nur so lässt sich verstehen, dass die Diskussion von technokratischen Lösungsansätzen dominiert wird, die auf Effizienz – weniger Input pro Output, z.B. klinkerarmer Zement – und Konsistenz – umweltgerechter Input, z.B. Holz statt Beton – setzen, während bei Suffizienzansätzen – weniger Output, z.B. Verbot von Neubauten – (SRU 2024, S. 7) eine gewaltige Lücke klafft (Zimmermann et al. 2023, S. 26).
Dabei ist das Potenzial enorm. Sowohl Effizienz- als auch Konsistenzmaßnahmen bringen nur relative Vorteile, die durch den sogenannten Rebound-Effekt häufig absolut zunichte gemacht werden, während Suffizienzmaßnahmen für absolute Reduktionen sorgen können (SRU 2024, S. 21). Indem nicht ausschließlich auf technische Lösungen gehofft wird, sondern auch soziale, kulturelle und wirtschaftliche Praxen zur Begrenzung des Outputs als Hebel angesehen werden, können auch die Risiken neuer Techniken (wie CCS) eingeschränkt oder sogar ganz umgangen werden.
Bei Suffizienz geht es nicht nur um Lebensstilfragen, sondern auch um politisch-strukturelle Maßnahmen, die „energie- und ressourcenschonende Praktiken und Lebensstile ermöglichen und – wo nötig – fördern und einfordern sowie der Unterversorgung und Benachteiligung entgegenwirken“ sollen (SRU 2024, S. 31).
Dass Suffizienzpolitik in der Debatte nur am Rande behandelt wird, ist nicht verwunderlich. Wenn ökologische Grenzen gesetzt werden, sind Arbeitsplätze und investiertes Kapital in Gefahr – und immerhin macht der Bausektor in Deutschland 12% des BIP und 6% aller Arbeitsplätze aus (Hüttenhoff 2023, S. 6). Dazu kommt, dass Suffizienzpolitik konkret an Verteilungsfragen anknüpft. Soziale Konflikte werden häufig mit weiterem Wachstum abgemildert – ganz nach dem Motto „wer immer mehr hervorbringen kann, muss das Vorhandene nicht teilen“ (von Winterfeld 2011, zitiert nach Lage und Christ 2020, S. 187) – mit festen Grenzen ist das nicht mehr möglich. Statt auf „Bauen, bauen, bauen“ als Lösung für steigende Mieten zu setzen, muss über die Verteilung des bestehenden Wohnraums gesprochen werden – die katastrophal ungerecht zugunsten der Wohlhabenderen liegt (ebd., S. 196). Auf einmal rückt der stetig wachsende Wohnraum pro Person ins politische Sichtfeld, genauso wie die Spekulation auf Immobilien. Während Abriss kritisch hinterfragt werden muss, kommen mit möglichen Umnutzungen von Bürokomplexen und Malls neue Chancen auf.
Dadurch, dass soziale Prozesse ins Zentrum politischen Handels rücken, bietet Suffizienzpolitik also nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein soziales Transformationspotenzial (ebd., S. 194).
Gerechtigkeit im Zentrum
Doch Suffizienzmaßnahmen können auch bestehende Ungleichheiten verstärken, beispielsweise indem höhere Kosten entstehen, die vor allem ärmere Haushalte treffen (SRU 2024, S. 62). Auch z.B. die Aufwertung bestehenden Wohnraums kann eine green gentrification stattfinden lassen (Lage und Christ 2020, S. 197). Erst recht aufgrund der ohnehin ausbeuterischen und prekären Arbeitsverhältnisse in der Baubranche (Hüttenhoff 2023) müssen die Suffizienzmaßnahmen in diesem Bereich deshalb unbedingt sozial gerecht gestaltet werden.
Es ist also keine Option, diese Industrie einfach vor die Wand fahren zu lassen. Stattdessen braucht es einen aktiven Staat, der mit partizipativ-demokratischer Planung ermöglicht ökologische Grenzen einzuhalten und die Kosten dafür gerecht zu verteilen (Durand et al. 2024).
Die Zeit rennt und die Gefahr, sich auf die Luftschlösser der Industrie zu verlassen, ist zu groß. Wenn Effizienz und Konsistenz an ihre Grenzen stoßen ist es höchste Zeit, auch die sozialen Hebel umzulegen.
Nils Urbanus
Nils Urbanus studiert im Master an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv.
Hintergrund
Dieser Essay entstand als Prüfungsleistung für das Modul "Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Naturverhältnisse".
gut zu lesen, spannend und aufschlussreicher Artikel ;)